1. September 2022: Tief Durchatmen – Erste Hilfe für viele Lebenslagen
Was haben Singen, die Wim Hof-Methode und Yoga/Meditation gemeinsam?
Der Atem ist jeweils das Herzstück und ein wichtiger Helfer. SängerInnen haben durch intensive Atmung deutlich gesündere Lungen, im Eis Badende bereiten sich mit der Wim Hof-Atemtechnik auf den Adrenalinkick vor und Yoga- und Meditation-Praktizierende lassen den Atem ihre Musik und ihren Fokuspunkt sein.
Eine kleine Übung gleich zu Beginn, damit das Lesen mit Konzentration und Leichtigkeit gelingt:
Atme vollständig aus – bis der Bauch sich nach innen zu ziehen beginnt, weil Du an den Rand der Ausatmung gehst. Dann lass den Einatem anstrengungslos sich in Dir ausdehnen – wieder bis an die Grenze deines Lungenvolumens. Wiederhole das 3 Mal und lass dann den Atem wieder frei. – Was macht das mit Dir?
Wie es ein Architekturstudium gibt; so könnte es auch ein offizielles Studium der Atmung geben. Viele wissenschaftliche Studien (siehe Pubmed) und unzählige Bücher zum Thema Atem wurden in den letzten Jahren publiziert. Und weiter zurück finden sich in allen philosophischen, spirituellen und schamanischen Traditionen Hinweise und Techniken, wie der Atem als mächtiges Werkzeug dem Menschen dient und Träger des Lebens ist.
Hier sei einerseits die Bedeutung von Atem in Erinnerung gerufen und andererseits mit ein paar Übungsanleitungen die sofortige Umsetzung von Wissen über Atmung angestoßen. Vertiefende und weiterführende Informationen finden sich im Quellenverzeichnis.
Eine gesunde Atmung, die durch verschiedene Zivilisationsentwicklungen oft verloren gegangen ist, unterstützt Körper und Geist auf vielfältige Art und Weise:
- Die geistigen Leistungen verbessern sich; man wird kreativer, behält sein Ziel besser im Auge, macht weniger Fehler und begegnet den Menschen offener und gelassener.
- Die Verdauung wird gefördert und das Säure-Basen-Gleichgewicht im Körper reguliert, weil mit guter Atmung das Verdauungsfeuer, wie’s im Ayurveda genannt wird, effektiver brennt und Stoffwechselprozesse besser funktionieren.
- Der Schlaf bekommt eine bessere Qualität, weil durch bewusstes Atmen Loslassen besser gelingt und Stresshormone reduziert werden. Und ein erholsamer Schlaf wirkt sich wiederum positiv auf viele Krankheiten wie Bluthochdruck, Hormon-Dysbalance, Panikattacken, Depression etc. aus.
- Die Körperhaltung verändert sich bei konsequenter Übung, weil eine vollständige Atmung Aufrichtung und Selbstsicherheit sowie Gelassenheit unterstützen.
- Die Selbstwahrnehmung wird feiner und auch die Fähigkeit in den psychischen Innenraum zu gehen wächst. Man gewinnt differenzierte Reflexionsfähigkeit und Klarheit für Situationen und angemessene Handlungsoptionen.
- Im Yoga sprechen wir bei Atemübungen von der Reinigung der Nadis für den freien Fluss von Energie. Nadis als feinstoffliche Energiekanäle transportieren unsere Lebensenergie Prana. Krankheit entsteht dort, wo die Energie nicht fließt. Umgekehrt lässt uns Freiheit und Bewegung gesund und vital sein.
Unsere Sprache drückt viele Emotionen mit Metaphern rund um den Atem aus: „Das nimmt mir die Luft zum Atmen!“, „Beruhig Dich, atme mal tief durch!“, „Ich brauche Raum zum Atmen.“, … Das zeigt auch deutlich, wie Atem eine unsichtbare Brücke zwischen dem Körper und dem Geist bildet. Atem läuft ohne unser Zutun und ist von uns beeinflussbar. Diese Magie machen sich viele therapeutische Richtungen zunutze.
Und das Beste daran ist, dass Atemübungen ohne Zeit¬ und Kostenaufwand regelmäßig umsetzbar sind.
Kleine Übung für Zwischendurch:
Schließ für einen Moment Deine Augen und spür beim nächsten Einatmen Deinen Körper als krafterfüllten Raum, und das Ausatmen als raumerfüllende Kraft. Wie erlebst Du das Einatmen und wie das Ausatmen?
Yoga und der achtgliedrige Pfad enthält Atmung nicht nur auf der Stufe des Pranayama als bewusste Atempraxis mit Verlängern, Anhalten, Intensivieren, Rhythmisieren und gezieltes Lenken des Atems. Der Atem führt und stützt auch die Asanapraxis, Bewegungen und Haltungen werden integrierter und leichter. Zum Beispiel lassen sich die Arme in der Berghaltung mit dem Einatmen leichter heben und das wirkt harmonischer, als wenn Bewegungen losgelöst oder mechanisch geübt werden. Und Meditation lässt sich gut mit Aufmerksamkeitslenkung auf den Atem beginnen.
Nun ein paar meiner Lieblingsübungen:
- Am Morgen liebe ich die Gorilla-Atmung: Ich stehe breitbeinig und klopfe mit den Fingerkuppen beim Einatmen sanft über den Brustkorb, um „Guten Morgen“ in die Lungen zu schicken. Bei gefüllten Lungen halte ich an und klopfe mit Handschüsselchen (geschlossene Finger, gewölbter Handteller) kräftiger auf den Brustkorb. Das Ausatmen erfolgt mit Hände auf die Knie gestützt, geschürzte Lippen (geschlossen und nur punktuell geöffnet) und stoßweise Luft ablassen, d.h. etwas gebremst und mit der Vorstellung, Müdigkeit auszuatmen. Zwei Atemwellen fließen frei aus und ein, bevor ich in eine zweite und dritte Runde gehe.
- Meine Lieblingsübung am Abend ist die beruhigende Atmung mit So ham: Ich sitze aufrecht, manchmal eine Hand am Herzen, eine am Bauch, erst meinem Atem lauschend, dann das Einatmen mit „So“ und das Ausatmen mit „ham“ tönend. Das vermittelt mir ein Gefühl von „Ich bin“ und nichts sonst ist wichtig, kein Tun mehr und keine Aussenwelt mehr. Ideal vor dem Schlafengehen.
- Und meine Notfall-Atmung, wenn ich müde bin: Ich gehe entweder in den nach unten schauenden Hund und atme durch die Nase ein und wie ein Löwe brüllend mit weit geöffnetem Mund und großen Augen aus. Das energetisiert so richtig und lässt jeden Kloss im Hals verschwinden. Oder sanfter atme ich in drei Stufen mit kurzem dazwischen Anhalten ein und dann lang mit einem stillen „A“ aus. Das lässt viel Spannung mit-ausatmen.
Als EinsteigerIn in die Atemübungen empfehle ich, gute LehrerInnen zu konsultieren, damit die ersten Atem-Erfahrungen ermutigende und gesundheitsförderliche sind.
Quellen:
- Light on Pranayama von BKS Iyengar
- Erfahrbaren Atem von Ilse Middendorf
- ATMEN – heilt – entspannt – zentriert – ein Ratgeber von Ralph Skuban
- Breath – the essence of yoga. – a guide to inner stillness von Sandra Sabatini
- Atem und Bewegung von Norbert Faller
- https://www.atemaustria.at/index.php
- https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/29395894/
— Posted on 31. August 2022 at 13:40 by Margit Weingast
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